Janos
Frecot Das Projekt Im Schatten des Adlers
Das
Photo-Projekt Im Schatten des Adlers von Thomas Leuner
gilt mir seit ich es kenne als eines der herausragenden der zeitgenössischen
Autorenphotographie. Es umkreist einen in sich geschlossenen Lebens-
und Erlebniszusammenhang, es arbeitet mit immanent photographischen
Mitteln die eingesprengten Texte des Autors interpretieren
nicht die Bilder, sondern vertiefen die Dringlichkeit und Unruhe,
die von ihnen ausgeht , und die photographische Sprache der
Bilder ist auf der Höhe der Zeit, da sie entstanden:
sie knüpft an Reportagemethoden an, wie sie Anfang der 80er
Jahre in den USA, aber auch hier aufkamen, nämlich sich physisch
und mit Haut und Haar in das zu beschreibende Milieu hineinzubegeben
und gleichwohl nicht distanzlos in ihm aufzugehen.
Zugleich sehe ich eine Nähe zu Arbeiten von Robert Frank, zu
dessen filmischen Sehweisen, aber auch zu der abgründigen Trauer,
die Franks Arbeiten als Summe von Lebenserfahrung jenseits ihrer
künstlerischen Qualität ausmachen.
An Thomas Leuners Arbeit scheint mir auch der präzise Einsatz
der photographisch-technischen Mittel bemerkenswert und keineswegs
selbstverständlich: die Arbeit, ursprünglich in Farbe
vorgestellt, erwies sich im Entstehen als Schwarz-weiß Projekt,
da nur hier die Farbnuancen, in denen die drei Teile
des Buches photographiert sind, vom Autor bewußt steuerbar
sind.
Die Arbeit entstand in einer Zeit, die weltpolitisch wie stadtpolitisch
hinreichend Anlässe bot, je nach Temperament mit Revolte oder
mit Depression auf sie zu reagieren. In den USA herrschte Reagan,
in Bonn Kohl und Wörner und in Moskau noch nicht Gorbatschow.
Auf den Straßen der westlichen Welt Friedensmärsche,
und auf den Straßen Berlins Schlachten zwischen Hausbesetzern
und der Polizei: eine seit 68 nicht mehr gekannte Konfrontation
ging durch die Bevölkerung.
Hier in Berlin, wo die Wunden, die Nationalsozialismus und Krieg
sowie Teilung zurückließen, nie vernarbt sind und auf
jeden politischen Wetterumschwung im Großen wie im Kleinen
mit heftigem Schmerz reagieren, lebte Leuner als Teil der Szene,
die als Punker- und Chaotenszene nur ungenau umschrieben ist, erlebte
sie in der Etage, registrierte ihre kulturelle Spiegelung
in den einschlägigen Musikschuppen Kreuzbergs, und erlebte
den Zusammenprall mit der Mehrheit, den Normalen, wobei
daran erinnert sei, daß ein kluger Beobachter das Normale
einst als die weitverbreitetste Neurose bezeichnet hat.
In den drei Teilen wird das Zugespitzte einer Zeitlage deutlich,
die in ihrer Ambivalenz zwischen Verwirklichung und Zerstörung
damals keineswegs auf die Szene, sondern auch auf die
Mehrheit zutraf: wie anders wäre die hundehafte Bösartigkeit
mancher Gesichter zu erklären.
Von heute her gesehen evoziert Leuners Arbeit eine Zeit und Seelenverfassung,
die im gegenwärtigen Vereinigungsjubel allzu leicht in Verdrängnis
geraten könnte. Sollte dies geschehen, ist allerdings als Frucht
der Vereinigung mit politischen Nachtmahren zu rechnen. Aus diesem
Grunde erscheint mir eine Publizierung und Ausstellung der Arbeiten
heute aktueller denn je. Ich habe mich seit etwa vier Jahren darum
bemüht, das mit unseren Mitteln zu realisieren, leider vergebens,
was sicher auch an der Sperrigkeit des Themas liegt. Diese Arbeit
ruft nun einmal eher Schaudern als ästhetisches Wohlbefinden
hervor. Der designhaften Glätte mancher heute preisgekrönten
Großformat-Colorphotographie wäre die Schmutzigkeit und
Rauheit von Im Schatten des Adlers entgegenzusetzen.
(1990)
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