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Das Straßenfest
Karl-Marx-Straße.
Bei strahlendem Sonnenschein wurden am letzten Samstag die Türen
der Eckkneipen und Hinterhöfe entriegelt und das verelendete Proletariat
mit Billigbier und fetter Wurst auf die Straße gelockt.
In den frühen Morgenstunden davor hatten die Schergen der Kaufhäuser
und Läden ihre schlechten Waren als Schnäppchen auf die Straße
gekippt. Schwitzende Sozialhilfeempfänger schmissen pfundweise
bunte Kuverts in die Briefkästen. Auf Festen soll der Umsatz stimmen.
Um zehn dudelt die Sparkassenband vor dem Rathaus, stapeln sich die
ersten Plastikbecher auf den Stehtischen. Die Bewohner machen sich fein,
sofern sie das überhaupt können, und reihen sich in die Schlangen
vor den Geldautomaten ein; bewaffnen sich mit bunten Scheckheften, in
denen auf jeder Seite etwas zu gewinnen gibt: eine Reise nach Bonn,
wenn man den Bürgermeister am CDU Stand erkannte, ein Opernglas
beim Optiker Sänger, ein Paar rosa Gesundheitsschuhe bei Wittstock,
eine Flasche Rapid Flaschendünger bei Fleurop. Vor
der Deutschen Bank klärt ein Clown drei-bis sechsjährige über
die Funktion der Euroscheckkarte im Zeitalter der Geldautomaten auf,
kotzt ein Tätowierter vor Quelle, pisst ein Fettwanst gegen die
Telefonzelle.
Gruppen verbrannter Sonnenfixer aus den Solarien verstecken ihre kleinen
Köpfe hinter riesigen Sonnenbrillen, vor der Volkshochschule dröhnt
eine geförderte Rockband, am Kindl-Doppel-Stand höhnen Fetthaarige
aus dem Rollberg über Cowboyfüße aus der Sonnenallee
die Kob`s greifen ein.
In der Mittagsstunde fallen die ersten rotschwammigen, alkoholzerissenen
Köpfe auf die Tische; schwanken die Mutierten zurück in ihre
Hinterhaushöhlen.
Die Grünen verteilen Flugblätter gegen alles Böse in
der Welt und bitten um Unterschrift; die Rathausuhr scheppert fünf
vor Zwölf, das Trampeln über die krachenden Plastikbecher
geht weiter.
Dann verbreitet sich das Gerücht, Scharfschützen hätten
sich auf den Dächern verschanzt, um mit Gummipfropfen Türken
zu schießen, die es gewagt hatten, bei solch einem Fest das Haus
zu verlassen.
Ein SPD Stadtrat nuckelt gedankenverloren an seiner Pfeife und macht
sich Sorgen: das Tief Adria ist für Mittag angesagt.
Karl Marx hatte also doch Recht aber Hertha verlor 5:2.
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